Pressemitteilung des Zentrums gegen Vertreibungen
Franz-Werfel-Menschenrechtspreis an Bundespräsident a.D. Joachim Gauck verliehen
Joachim Gauck in der Frankfurter Paulskirche mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungenausgezeichnet. Die Entscheidung über den Preisträger erfolgte durch die Jury bereits im Jahre 2020. Die Verleihung konnte wegen der Pandemie-Notlage im vergangenen Jahr nicht stattfinden und wurde jetzt nachgeholt.
Die Jury des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises würdigte mit der Preisverleihung das umfangreiche und vielfältige Wirken des Bundespräsidenten Joachim Gauck, der in unterschiedlichen Funktionen, zuletzt als höchster Repräsentant unseres Staates, die Verletzung von Menschenrechten durch Völkermord, Vertreibung und Genozid angeprangert hat. Nach der Begrüßung durch den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Peter Feldmann würdigte der Vorsitzende der Stiftung, Dr. Christean Wagner, den Preisträger mit den Worten: „Wir wollen Sie heute ehren für Ihr jahrelanges unerschütterliches Eintreten gegen Flucht und Vertreibung. Sie sind ein Bundespräsident der klaren und mutigen Worte gewesen. Im Mittelpunkt Ihres Wirkens stand und steht Ihr Kampf für die Freiheit und Ihr unermüdliches Werben für den Wert der Freiheit.“
Ministerpräsident Volker Bouffier lobte als Schirmherr des Franz-Werfel-Menschenrechtspreis das Zentrum gegen Vertreibungen für seine erinnerungspolitische Arbeit: „Die Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises des Zentrums gegen Vertreibungen ist wichtige Erinnerungsarbeit. Sie verbindet Gedenken an Leid mit einer Sensibilität für die Probleme der Gegenwart“, betonte Bouffier. „Der Preisträger Dr. Joachim Gauck hat sich das Gedenken an Flucht und Vertreibung, den Kampf gegen die Ursachen dieses Leids und den bedingungslosen Einsatz für Menschenrechte zur Lebensaufgabe gemacht. Er hat das Traumata der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg besonders in seine Betrachtungen aufgenommen. Dr. Joachim Gauck hat die Auszeichnung daher mehr als verdient“, unterstrich der Ministerpräsident. „Immer wieder hat Dr. Joachim Gauck betont, dass die Erinnerung an die Vertreibung ein bedeutender Teil der deutschen Geschichte ist“, so Bouffier.
Dem Preisträger ging es laut Bouffier aber auch immer um die historische und internationale Dimension von Flucht, Vertreibung und Genozid. Der Namensgeber des Preises und der Preisträger, Bundespräsident Joachim Gauck, seien sich zudem in ihren Ansichten ähnlich, so der Ministerpräsident weiter. Gauck hatte als Bundespräsident 2015 erstmals das Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord bezeichnet.
In seiner Laudatio auf den Preisträger betonte der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Bernd Fabritius: „Der Name und der Mensch Joachim Gauck werden in der allgemeinen Wahrnehmung verbunden mit dem Gespür für Freiheit sowie für Recht und Gerechtigkeit, mit dem Einsatz für die Benachteiligten und Unterdrückten, mit dem Aufbegehren gegen staatliches, kollektives und individuelles Unrecht. Mit diesen Attributen und Zuordnungen, sehr geehrter Herr Gauck, gehen Sie bereits zu Lebzeiten in die Geschichte ein.“ Schon früh habe Gauck sich für ein Zentrum gegen Vertreibungen, ausgesprochen und die Notwendigkeit eines Erinnerungsortes für die deutschen Flüchtlinge und Vertriebene erkannt. „Es widersprach Ihrem Grundverständnis von Würde und Recht, diesen Menschen und ihren Nachkommen ein sichtbares Zeichen staatlichen Gedenkens für das erlittene Leid und Unrecht zu verweigern!“ Gauck habe sich immer wieder und in allen seinen Ämtern engagiert dafür ausgesprochen, dass die dauerhafte Erinnerung an die Vertreibung ein elementarer Teil deutscher Geschichte sei. „In bewundernswert konsequenter Haltung prägten Sie dann mit dem Begriff „Erinnerungsschatten“ eine vortreffliche Metapher für die Situation der Vertriebenen, die die letzten fünf Jahrzehnte bundesdeutscher Befindlichkeit psychologisch und gesellschaftlich zutreffend beschreibt.“
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck dankte der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen für die Auszeichnung. „Dass wir heute dort stehen, wo wir stehen, hat viel Engagement, Entschiedenheit und Standfestigkeit erfordert. Ich erinnere mich noch an den heftigen Gegenwind, den das Projekt eines Zentrum gegen Vertreibungen zunächst erfuhr. … Es ist wohl keine Übertreibung, wenn ich heute sage: Wohl fast alle haben gelernt. Viele Betroffene, die imstande waren, über den eigenen Schatten zu springen und ihr Leid in den historischen Kontext einzuordnen. Viele Liberale und Linksliberale, die erkannten, dass, wer das Leid von Deutschen anerkennt, die deutsche Schuld keineswegs leugnen muss, sondern einfach zur Kenntnis nimmt, dass Deutsche die Opfer deutscher Opfer wurden. … Im Rückblick erkennen wir, wie notwendig und heilsam die Diskussionsprozesse waren. Es diente der Stabilisierung der Gesellschaft HEUTE, als die Leiden von gestern Anerkennung erfuhren.“ Dr. Joachim Gauck machte zugleich deutlich, dass Flucht und Vertreibung keine Themen der Vergangenheit seien, sondern „dass aus dem selbsterfahrenen Leid von Flucht und Vertreibung der Deutschen in den letzten Jahrzehnten eine besondere Empathie für andere Menschen mit Flucht- und Vertreibungserfahrungen erwachsen konnte, (das) halte ich für keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr schätze ich es, dass es gelungen ist, nicht im eigenen Leid zu verharren und empfänglich zu werden für das Schicksal anderer.“ Er erinnerte daran, dass sich „mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung 2020 auf der Flucht befand – über 82 Millionen Menschen. So viele wie in Deutschland Menschen leben.“ Er dankte der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, dass Sie mit „diesem Preis dazu beitragen, dass wir uns nicht blind und taub stellen sondern, dass wir uns dafür sensibilisieren, immer wieder um das höchste Gut, das wir haben, zu ringen: die Würde des Menschen. Denn wir alle ‚sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen‘. So steht es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.“