BESTANDSAUFNAHME

Die Deutschen aus Russland gehören zahlenmäßig zu der größten Zuwanderungsgruppe in Deutschland. Zurzeit leben in Deutschland über 3,5 Mio. deutsche Bürger mit einem sog. russlanddeutschen kulturellen Hintergrund. Davon sind 1,75 Mio. (44 %) zwischen 6 und 27 Jahre alt. In Hessen beträgt die Zahl der Deutschen aus Russland ca. 180.000, davon sind ca. 80.000 Kinder und Jugendliche. Die meisten von ihnen sind inzwischen in Schule, Ausbildung, Arbeit, Vereinen, Wohnumfeld gut integriert.

Allerdings zeigten die politische Entwicklungen um die Russlanddeutschen (Fall „Lisa aus Berlin“ sowie Beteiligung an Kundgebungen und Demonstrationen mit fremdenfeindlichen Tendenzen, Sympathien gegenüber rechtsnationalen politischen Strömungen und Parteien wie AfD),

  • dass es einen hohen Grad der Unzufriedenheit gibt,

  • dass es Defizite gibt, sich politisch zu orientieren,

  • dass es Defizite beim Verständnis der Demokratie gibt,

  • dass die Empfänglichkeit gegenüber rechtspopulistischen und anderen (meist verbreitet durch russische Propagandamedien) ideologischen Einflüsse hoch ist,
  • dass es unter den Deutschen aus Russland eine Gruppe von Menschen gibt, deren Auftreten von Fremdenfeindlichkeit gekennzeichnet ist,

  • dass das Vertrauen an den Rechtsstaat bzw. die demokratische Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland bei einem Teil der Deutschen aus Russland schwindet.

Entsprechende Einstellungen bekommen eine rasche Entwicklung vor dem Hintergrund der objektiv vorhandenen Probleme:

  • Ein Großteil russlanddeutscher Senioren lebt in Armut. Selbst wenn sie berechtigt sind, Rente zu beziehen, ist diese um 40 % gekürzt. Die Deutschen aus Russland nehmen dieses Unrecht als einen Verstoß gegen den Generationenvertrag wahr.
  • Die Anerkennung der Hochschulabschlüsse aus den Herkunftsgebieten bleibt nach wie vor ein Problem, besonders, wenn es um Anpassungs- und Qualifizierungsmaßnahmen geht. Vor allem Frauen konnten in Deutschland ihren erlernten Berufen nicht nachgehen und landeten so im Niedriglohnsektor.
  • Die Integrationsprozesse der Deutschen aus Russland erfahren kaum bzw. unzureichend Förderung. Besonders betrifft das die Integration in das Gemeinwesen.
  • Fast vollständig fehlt die außerschulische politische Bildungsarbeit bzw. politische Integration, vor allem der jugendlichen Deutschen aus Russland in die demokratischen Parteien.
  • Deutsche aus Russland sind durch soziale Medien oft deutschlandfeindseliger Propaganda aus dem Herkunftsland und fremdenfeindlichen Einflüssen ausgesetzt, die ihr Weltbild prägen.
  • Viele jugendliche Russlanddeutsche leiden unter dem Verlust der Heimat, hofften diese in Deutschland zu finden. Haben jedoch angesichts der großen Zuwanderungswellen Angst vor Überfremdung und Identitätsverlust.
  • Der einheimischen Bevölkerung fehlt das Wissen über die Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland. Es herrschen viele Vorurteile, die oft zu Spannungen führen. Viele Russlanddeutsche haben das Gefühl, sich ständig bzgl. der Abstammung, Herkunft, der deutschen Staatsbürgerschaft erklären zu müssen. In den Herkunftsländern oft als „Deutsche“ beschimpft, erleben viele in Deutschland die Diskriminierung als „Russe“ und geraten somit in eine Identitätskrise, die, wiederum, zur Entfremdung und Vertrauensbruch gegenüber der Aufnahmegesellschaft führt.

Der Bedarf der nachholenden Integration (die die beschriebenen Defizite abbaut) ist sehr groß, wird jedoch kaum erkannt. Viele, vor allem junge Russlanddeutsche, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, gesellschaftlich ins Abseits zu geraten bzw. sich zu entfremden und somit politischen Strömungen ins Netz zu geraten, die rechtsnationales und demokratiefeindliches Gedankengut verbreiten. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es übergreifende Handlungsansätze.